Sibylle Berg zu lesen, wenn die scheinbar letzten sonnigen Tage dahingehen und der Herbst mit seinen frühmorgendlichen Nebelfeldern wartet, war vermutlich keine gute Idee. Alles ist grau, kalt und trostlos in Vielen Dank für das Leben und die Menschen befinden sich auf einer ständigen Suche, einer Suche nach Glück, nach Zufriedenheit – und eigentlich weiß keiner so genau, was er vom Leben denn erwartet hat außer diesem: Mehr!
Und so verkrampft sich auch mein Inneres, schickt die Gedanken aus dem Bürofenster in die Ferne und versucht, noch ferne Sehnsüchte aufzuspüren, um sie zu benennen. Die typische Herbstmelancholie. Dabei ist der Herbst eine so wundervolle Jahreszeit, gold-braun-grün-rote Bäume im Wald, Nüsse auf dem Boden, der kalte Geruch von großer Erwartung zieht mit einem Windstoß an der Nase vorbei. Es wird Zeit für warmen Tee, für Kerzen am Nachmittag und Abend. Und die größere Hälfte meiner inneren Stimme redet auf die kleine ein, die Sibylle Bergs Pessimismus so aufgeschlossen ist, und versichert: Menschen sind großartig! Sie sind nicht einheitlich, mittelmäßig und grau wie in diesem Buch. Sehnsüchte beflügeln uns und lassen uns über uns hinauswachsen.
Und auch in mir brennt ein Feuer. Eine noch aus Kindertagen stammende Sehnsucht nach Frankreich manifestiert sich wieder, nachdem ich dem Land vor fünf Jahren den Rücken gekehrt habe. Im nächsten Jahr hat Paris die zweite Chance, doch noch zu einem Stück Heimat für mich zu werden. Und vermutlich wird kein monatelanger Glücksrausch die Stadt in eine rosarote Zuckerwattelandschaft verwandeln. Aber zumindest kann ich mich mit fröhlicherer Lektüre ausstatten.
Und bis dahin lausche ich im Wald dem wunderbaren Rauschen der Blätter, das vom Leben flüstert und getreu Nikolaus Lenau, allerdings voll Freude, fragt: „Hat dein Herz sein Glück gefunden?“