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Sartre: Huis clos

24 Mär

41VVMX4XWBLHuis clos“ ist ein Theaterstück in einem Akt von Jean-Paul Sartre.

In einem Zimmer, der Hölle, treffen sich nach ihrem Tod der Journalist Gastin, die lesbische Postangestellte Inès und die Frau von Welt Estelle. Gemeinsam versuchen sie herauszufinden, warum gerade sie in ein Zimmer einquartiert wurden und was nun geschehen wird. Zu Lebzeiten haben die drei sich nie gesehen, kommen aus unterschiedlichen Regionen und Milieus. Zunehmend verstricken sich die drei in gegenseitige Abhängigkeit und gegenseitigen Hass: Inès verliebt sich in Estelle, die aber nur von einem Mann begehrt werden möchte. Sie ist bereit, alles zu sagen was Gastin hören möchte, damit er sie liebt. Gastin jedoch braucht eine ernst gemeinte Bestätigung dafür, dass er kein Feigling ist, die er sich von Inès erhofft, die ihm aber zu verstehen gibt, dass sie ihn gerade für einen solchen hält. Sie hören nicht auf, sich gegenseitig zu verletzen und irgendwann erkennt Gastin: „l’Enfer, c’est les autres„, die Hölle, das sind die anderen. „Le bourreau, c’est chacun de nous pour les deux autres.“ (Inès, scèneV) – jeder ist der Folterknecht der beiden anderen.

Wieder einmal sucht der bescheidene Leser im Text nach Sartres Existentialismus: Jeder Mensch ist für sein Schicksal selbst verantwortlich.
Zumindest ich habe aber das Gefühl, dass Huis clos genau an dieser Theorie vorbeisteuert, denn alle drei, Gastin, Estelle und Inès bereuen nichts in ihrem Leben. Sie haben ihr Leben genossen und meinten – zumindest ihr Leben über – sich vor sich selbst rechtfertigen zu können. Nun ist das Leben vorbei, sie können nichts mehr ändern, sind jetzt aber unglücklich und verzweifeln aneinander. Existentialismus ist das für mich nicht und so frage ich, wo denn dann die Moral stecken mag.

Es bleibt letztendlich nur noch die Erkenntnis, dass die Hölle die anderen sind. Überträgt man das auf die noch Lebenden, kann klar werden, was vielleicht gemeint ist: Jeder ist im Leben von anderen Menschen abhängig, die ihnen sagen, dass sie toll sind, dass sie gut aussehen, dass sie kein Feigling sind, dass alles, was sie tun so richtig ist. Indem man das tut, gibt man den anderen Menschen Macht über sich selbst und damit auch den Maßstab für das eigene Wertgefühl. Die Konsequenz also wäre, seinen eigenen Wert selbst zu messen und festzulegen, ohne die Bestätigung anderer zu brauchen, was immer ein gut gemeinter Ratschlag ist, denn wahrscheinlich ist jeder von mindestens einem anderen Menschen in einem solchen Maße abhängig. Je abhängiger wir aber sind, desto schwieriger wird es auch, sich von ihnen zu trennen – Selbst wenn die Türe der Hölle geöffnet wird, können wir nicht fliehen, weil wir die anderen brauchen.

 
5 Kommentare

Verfasst von - 24. März 2008 in Bücher, Gedanken

 

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5 Antworten zu “Sartre: Huis clos

  1. Momoko

    30. März 2008 at 12:59

    Das Stück klingt interessant :)
    Und jetzt weiß ich auch woher das Zitat von Sartre („Die Hölle sind die anderen.“) kommt, über das ich schon einige Male gestolpert bin. Und zu einem gewissen Maße hat er mit der Aussage bestimmt Recht.

    Liebe Grüße,
    Momoko

     
  2. Pin

    1. Juni 2008 at 17:48

    Ich lese das Stück im Moment im Französischunterricht, werde morgen eine Klausur drüber schreiben und bin grade beim Lernen auf deine Homepage gestoßen.
    Für mich stellt sich genau die gleiche Frage, die sich auch bei dir aufgeworfen hat: Wo steckt im Stück Sartres Freiheitsbegriff und der Existentialismus? Meine Lehrerin wird langsam schon wahnsinnig, weil ich einfach keine Unterrichtstunde davon locker lassen kann, aber irgendwie finde ich die Interpretation, dass es nur auf die gegenseitige Abhängigkeiten der Menschen untereinander zu Urteilsfindung beitragen, doch sehr oberflächlich und eigentlich nicht sonderlich passend, wenn ich an die philosophischen Texte, die ich von Sartre kenne, denke. Auch mein Philolehrer konnte sich damit nicht wirklich anfreunden, aber meine Französischlehrerin ist überzeugt…
    Naja, vllt kommt mir heute Nacht beim wiederholten Überfliegen ja die Erleuchtung.
    Aber sehr interessant, dass andere die gleiche Verwirrung beim Lesen des Stückes zeigen!

     
  3. Miriam

    8. Juni 2009 at 18:53

    Hallo.
    Deine Interpretation gefällt mir sehr gut, im Gegensatz zu vielen anderen, die man so in Net findet. Aber eine kleine Verbesserung: Es ist Garcin, nicht Gastin.
    LG

     
  4. pinappleflavouredpeople

    5. Mai 2014 at 21:33

    Kann es nicht sein, dass dieser Satz „Ich bereue nichts“ nicht wirklich stimmt? Ich meine, würde Garcin (nicht Gastin, übrigens :) ) nichts bereuen, dann würde er sich vielleicht nicht fragen, ob er ein Feigling war/ist oder nicht. Und naja da steckt schon etwas Existentialismus drin, denn da gibt es das Zitat: Man ist, was man tut (oder so). Garcin hatte die Freiheit, sich zur Flucht zu entscheiden, eine pazifistische Zeitung zu führen und seine Frau zu hintergehen und all sowas und dafür trägt er die Verantwortung. Die Menschen sind laut Existentialismus „zur Freiheit verdammt“. Und Estelle ist auch das, was sie getan hat – nett ausgedrückt – leicht soziopathisch. Inès gibt es ja sogar zu, dass sie quasi böse ist und das auch braucht, was sich auch in ihren Taten widerspiegelt.

    Dennoch mag ich dein Fazit. Ich glaube, Sartre hat auch einmal gesagt, dass der Mensch vom Urteil anderer Menschen abhänging ist (deshalb „L’enfer, c’est les autres“). Ich schätze das lässt sich auf die ganze Situation mit der Hölle übertragen. Sie werden für ihre Taten verurteilt und deshalb sind sie in der Hölle, wo sie auch nicht mehr herauskommen. Dann existiert diese Abhängingkeit vom Urteil anderer also auf zwei Ebenen, eben der, dass sie für das, was sie getan haben, verurteilt werden und der, dass sie versuchen bei einander Vergebung oder Bestätigung zu finden, damit diese Hölle aufhört oder erträglicher wird.

    Ist dir auch aufgefallen, dass sie nie von Gott, sondern von „sie“ sprechen („Sie haben das alles vorausgesehen“)? Ich weiss ja nicht, ob Sartre an Gott geglaubt hat oder nicht, aber das deutet ja auch darauf hin, dass „sie“, also die Anderen, uns unter Kontrolle haben.

    Allerdings widerspricht sich das ein wenig mit dem Motto: Mach, was du willst, denn du wirst nicht von einer höheren Macht bestimmt.

    Tut mir leid, ich schreibe morgen auch eine Klausur darüber und das hier war einerseits eine Reaktion auf deinen tollen Post und als Vorbereitung für mich :) Liebe Grüsse

     
    • Kiyachan

      27. Mai 2014 at 14:50

      Es ist schon so Ewigkeiten her, dass ich mich mit dem Drama befasst habe. Sollte es mir wahrscheinlich noch einmal ansehen und den Eintrag überarbeiten. :)
      Aber vielen Dank für deine Gedanken!

       

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